Haben Sie eigentlich schon einmal überlegt, für wen Sie mit Ihrem Chor singen? Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, warum Sie selbst in einem Chor singen? Und warum sind Sie ausgerechnet Mitglied in genau dem Chor, in dem Sie singen?
Wenn nicht, dann sollten Sie es tun und die Fragen am besten auch gleich einmal in Ihrem Chor und im Vorstand stellen! Hier könnten sich nämlich die Antworten auf viele Fragen finden, die etliche Gesangvereine und Laienchöre immer wieder stellen: Wie erreichen wir ein neues Publikum, wie finden wir neue Sängerinnen und Sänger und wie machen wir unseren Chor attraktiver und damit auch zukunftsfähig?
Die drängendste Frage, die in vielen Chören gestellt wird, ist, wie man neue Mitglieder gewinnen kann. Und leider nur allzu oft mit der Klage verknüpft, der Verein oder Chor habe schon alles mögliche versucht und nichts habe gefruchtet. In einigen Fällen folgt dann noch der Hinweis, dass die jungen Leute von heute kein Interesse mehr am Singen im Chor haben und sich nicht mehr engagieren wollen. Meist ist das in den sogenannten „traditionellen“ Chören der Fall. Aber auch in vermeintlich moderneren Gesangvereinen bekommt man dieses Lied immer wieder einmal zu hören.
Fragt man dann aber nach, welche Anforderungen die gesuchten neuen Sängerinnen und Sänger denn erfüllen sollen, fallen die Antworten meist erschreckend unkonkret aus.
Dabei kann es durchaus hilfreich sein, die Zielgruppe des Chores und auch die eigenen Vorstellungen zumindest ungefähr zu kennen.
Wenn man eine Vorstellung davon hat, wen man ansprechen möchte, dann erleichtert dies zu aller erst die Auswahl des richtigen Kommunikationskanals, des richtigen Mediums. Menschen unter 20 erreicht man besser über die sozialen Netzwerke wie Facebook, Instagram oder Snapchat während man die über 50-Jährigen meist besser mit Artikeln oder Anzeigen in Tageszeitungen ansprechen kann.
Die Suche nach neuen Mitgliedern wird ebenfalls einfacher, wenn man weiß, wen man eigentlich sucht. Dies beginnt mit Altersgruppe oder Geschlecht und endet bei der Frage, welche Bedürfnisse das Singen im Chor bei den Neumitgliedern eigentlich befriedigen soll. Steht für sie oder ihn die musikalische Arbeit im Vordergrund oder ist er oder sie mehr am geselligen Miteinander interessiert?
Auch für den Gegenpol bei der Bestimmung der Zielgruppe sollte diese Frage gestellt werden, also für den Chor selbst. Die aktuellen Chormitglieder sollten wissen, was das Chorsingen für sie attraktiv macht und um was für eine Art von Chor es sich handelt. Es spielt für die Sängerinnen und Sänger nämlich durchaus eine Rolle, ob die Anforderungen, die im Chor gestellt werden, zu ihr oder zu ihm passen. Handelt es sich um einen Leistungschor, bei dem sich die Mitglieder für die Proben intensiv vorbereiten müssen? Gibt der Chor regelmäßig Konzerte, die möglicherweise mit längeren Anfahrten verbunden sind? Oder steht eher die Geselligkeit bei den Chorproben und in deren Anschluss im Vordergrund. Eine Sängerin, die nach musikalischen Herausforderungen sucht und neue Musik kennenlernen will, wird nicht lange in einem Chor bleiben, der sich auf ein eher begrenztes Repertoire konzentriert. Und ein Sänger, der vor allem zur Entspannung einmal in der Woche in die Chorprobe geht, fühlt sich vermutlich in einem Leistungschor mit zahlreichen Probenwochenenden und Reisen zu Wettbewerben nicht wohl.
Ohne Frage hat auch das Repertoire, das im Chor gesungen wird, eine Auswirkung darauf, wer sich einem Chor anschließt. Jemand dessen Herz für die Messen und Oratorien von Händel, Mozart und Mendelssohn schlägt, wird kaum lange in einem Chor singen, der sich vornehmlich mit der Popularmusik des 20. und 21. Jahrhunderts beschäftigt.
Hat man nun zum einen festgestellt, wie der eigene Chor aussieht, und zum anderen, welche Zielgruppe man ansprechen will, kann man versuchen, die jeweiligen Anforderungen und Vorstellungen in Einklang zu bringen. Und spätestens jetzt sollten wir merken, ob und inwieweit die Vorstellungen des Chores und die Anforderungen der gewünschten Zielgruppe übereinstimmen.
Oft wird man auf die ein oder andere Diskrepanz stoßen und Veränderungen vornehmen müssen. Dann muss man entweder die eigenen Vorstellungen von der gewünschten Zielgruppe an den Chor anpassen oder den Chor näher an die Bedürfnisse der gewünschten Zielgruppe heranbringen.
Weder das eine noch das andere ist dramatisch und erst recht nicht unmöglich. Es erfordert aber die Bereitschaft des Chores zur Veränderung – zumindest die Bereitschaft des größten Teils der Mitglieder.
In der Wirtschaft ist die Anpassung von Produkten und Dienstleistungen an die sich verändernden Kundenwünsche an der Tagesordnung. So gibt es den VW Golf inzwischen seit über 40 Jahren und in der siebten Generation. Ein Golf von 2018 hat nur noch wenig mit einem Golf von 1974 gemein. Es ist aber noch immer ein Golf.
Warum also nicht auch dem eigenen Chor ab und zu ein &bdqou;Facelifting“ verpassen und ihn damit fit für die Zukunft machen?
ursprünglich erschienen in aCHORd, der Mitgliederzeitschrift des Sängerkreises Offenbach, Ausgabe 2/2018